Bist du auch introvertiert? Stille Wasser sind nicht nur tief!

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Introvertiert! Was heisst das überhaupt? Ich halte persönlich nicht viel davon, Menschen bezüglich ihrer Eigenschaften in Schubladen zu stecken. Doch für mich und meiner Selbsterkenntnis war es manchmal notwendig, mich selbst in eine Schublade zu stecken. Als ich vor ca. vier Jahren auf die Begriffe Hochsensibilität und Scannerpersönlichkeit gestossen bin, war das für mich lebensverändernd. Ich habe mich auf einmal (wieder)erkannt und es war gleichzeitig für mich ein grosser Befreiungsschlag. Plötzlich hatte ich Talente und Fähigkeiten, denn lange Zeit dachte ich, ich könnte nichts und wäre nichts Besonderes.

Für mich ist es sehr wichtig, über verschiedene Eigenschaften zu lesen und dann für mich zu entscheiden, ob es für mich passt und ich mich damit identifizieren kann. Ich hatte keinen in meinem Umfeld, der mir dies sagen konnte, weil ich mich selbst nicht gekannt habe. So war es zum Beispiel auch als ich über Perfektionismus und Idealisten gelesen habe.

Ich habe zwar irgendwie gewusst, dass ich es bin, aber ich hatte keine Erklärung dafür und erst als ich darüber gelesen habe, konnte ich mir vieles erklären und nachvollziehen. Des Weiteren konnte ich, nachdem ich das Thema bearbeitet habe, das herausfiltern, was auf meinem weiteren Weg wichtig ist und ich anwenden bzw. ändern kann. Ich konnte besser mit der Eigenschaft umgehen und mehr in meine Stärke kommen. So ging es mir schliesslich auch mit der Introvertiertheit.

Mein Leben war alles andere, als dass es perfekt auf mein Wesen abgestimmt war. Ich bin in einem Hotel aufgewachsen, in welchem es verständlicherweise häufig laut und hektisch zu ging. Es gab in meinem nahen Umfeld viele Extrovertierte. Sie hatten immer viel mehr zu sagen, redeten ständig und laut, stellten sich oft in den Mittelpunkt und hatten „scheinend“ viel mehr Energie als ich. Meine Ausbildung habe ich unfreiwillig auch in einem Hotel absolviert. Es war ein Seminarhotel, in welchem es auch sehr stressig zuging und es hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich habe sogar lange Zeit als Animateurin gearbeitet, obwohl dies auch nicht wirklich ein Job für Introvertierte ist. 🙂

Doch ich habe mich durchgeboxt, da ich lange Zeit dachte, dass mit mir etwas nicht stimmt und ich mich anpassen müsste, um auch extrovertiert zu wirken. Das habe ich zeitweise geschafft, doch es hat extrem viel Energie gekostet und ich war am Ende nur noch mehr erschöpft, schlecht gelaunt und hatte keinen Antrieb. Das konnte es doch nicht sein!

Lange Zeit wollte ich es einfach nicht wahrhaben und akzeptieren, dass ich nicht dazu gehörte. Ich konnte einfach nicht zur Ruhe kommen, da ich dies schon so lange durchgezogen hatte und es gewohnt war mich zu verausgaben. Erst als ich vor einer Weile über Introvertiertheit gelesen habe, hat auf einmal alles einen Sinn ergeben und ich konnte endlich aufatmen. Ich hatte auf einmal die Gewissheit: „Es ist doch gut, so wie ich bin, höre jetzt auf zu kämpfen“

Mittlerweile spüre ich mich viel besser, ich weiss, wann ich eine Pause einlegen muss, wenn es mir gerade zu viel ist oder wann ich Zeit für mich brauche. Seitdem macht es mir richtig Spass, alleine zu sein, zu meditieren, mir Videos über Themen die mich interessieren, anzuschauen und mir es gut gehen zu lassen. Dadurch habe ich auch wieder viel mehr Energie und ich fühle mich zum ersten Mal wirklich wohl in meiner Haut.

Denn: Erst wenn man seine Persönlichkeit verstanden und akzeptiert hat, kann man sich voll entfalten. 

Falls dir meine Geschichte irgendwie bekannt vorkommen sollte, habe ich für dich nochmal die Eigenschaften der Intro`s: 🙂 

1. Wir mögen keinen „Small Talk“ (nur wenns unbedingt sein muss)

Für mich war es ein langer Weg bis ich akzeptieren konnte, dass ich Small Talk nicht leiden kann bzw. nicht dafür geschaffen bin. Dieses oberflächliche Geschwafel über das Wetter, die Schuhe, Klamotten und alles Unwichtige waren für mich immer total uninteressant. Ich kann es zwar unter Umständen, zum Beispiel wenn ich irgendwo „neu“ bin und dann ist Small Talk hilfreich, um ins Gespräch zu kommen, aber es langweilt mich ziemlich schnell und ich schweife ab.

Wir Intro`s führen lieber tiefgreifende Gespräche, die für uns Sinn machen zum Beispiel über das Leben, Philosophie, Spiritualität, andere Welten, Gefühle, Universum, Lösungen, die die Welt verbessern können usw. Nur weil wir still sind, heisst es nicht, dass wir nichts zu sagen haben. Doch die Zeit und die Umstände müssen dafür passen.

Dann können wir total aufblühen, sind voll bei der Sache und können sogar wie ein Wasserfall reden, ohne Punkt und Komma. Solche Gespräche geben uns einen mega Energieschub und es inspiriert uns. Wir sprechen eigentlich nur, wenn wir auch wirklich etwas zu sagen haben. Wir durchdenken unsere Aussagen, bevor wir sprechen. Unbedachte, verletzende Äusserungen erlebt man bei uns selten.

2. Wir bekommen unsere Energie aus dem Inneren

Im Gegensatz zu Extrovertieren, die Ihre Akkus, indem sie unter Menschen sind, im aussen aufladen können, bevorzugen wir es, alleine zu sein und unsere Energiespeicher in Ruhe und Geduld aufzufüllen. In einer hektischen Umgebung müssen wir uns zurückziehen können, sonst werden wir ungemütlich oder sogar zickig und dass mag unser Umfeld gar nicht. (und wir eigentlich auch nicht) .

Wir sind gerne für uns allein, wir geniessen die Ruhe und das Eintauchen ins Innenleben. Das heisst aber nicht, dass wir nicht gerne mit anderen Menschen zusammen sind. Aber wir brauchen eine Rückzugsmöglichkeit, wo wir aus der Ruhe wieder Kraft tanken können, das kann zu Hause oder in der Natur oder beim Auto fahren sein. Das ist für mich wie Meditation.

3. Wir beobachten einfach gerne

Ich liebe es ja, in einem Café oder Restaurant zu sitzen und die vorübergehenden Menschen einfach nur zu beobachten. Oft versuche ich, mich in Ihnen hineinzuversetzen, was für ein Leben sie leben, welche möglichen Aufgaben sie gerade bewältigen müssen und wie sie sich geben. Auch auf meinen Reisen beobachte ich gerne die Menschen. Ich kann dadurch sehr viel über sie lernen, was die Leute kaufen, wie sie sich benehmen, wie sie miteinander umgehen usw. Als Introvertierter können wir uns ausserdem sehr gut in andere Menschen hineinversetzen. Wir sind besonders mitfühlende und aufmerksame Beobachter. Wir wissen daher oft gut, wie es anderen Menschen geht. Man fragt uns gerne nach unseren Rat und vertraut uns leichter Geheimnisse an, die bei uns gut aufgehoben sind.

4. Wir können verdammt gut zuhören

Ich bin auf jeden Fall besser darin, Geplauder engagiert anzuhören, als es zu produzieren, obwohl ich auch öfter in die Falle trete, dass ich Menschen zuhöre obwohl mich ihr Geplapper überhaupt nicht interessiert. Da sympathisch die Reissleine zu ziehen, ist manchmal eine wirkliche Herausforderung. Denn nur weil wir gut zuhören können, bedeutet dies nicht, dass wir verpflichtet wären, jedem zuzuhören, der uns vollquatschen will. Unsere Qualitäten ein guter Zuhörer eine gute Zuhörerin zu sein, ist ein Geschenk, das nur denen zuteil werden sollte, welche es verdienen.

Ach ja, Telefonieren können wir auch nicht sonderlich leiden und so passiert es schon mal, dass wir uns telefonisch fast nie melden, was aber keine böse Absicht ist. Es braucht einfach den richtigen Zeitpunkt, den wir selbst wählen sollten.

5. Wir sind nicht alle schüchtern

Introversion wird oft auch als Schüchternheit gleichgestellt. Aber dem ist nicht so. Nicht alle Intro`s sind schüchtern. Ja wir brauchen Rückzugsmöglichkeiten und ja wir sind gerne allein. Aber das machen wir freiwillig, nicht weil wir nicht anders könnten. Wir brauchen die soziale Interaktion, und zwar regelmässig. Wir Introvertierte mögen Menschen, aber in geringer Dosierung und kleiner Anzahl. Zu viel Isolation ist ungesund.

Schüchternheit heisst dass es eine gewisse Scheu davor gibt, allgemein auf Menschen zuzugehen mit Fremden in Kontakt zu treten. Sie trauen sich selbst nicht zu, Begegnungen zu imitieren, oder entwickeln sogar Ängste und Panikzustände, wenn sie auf andere Menschen zugehen sollen. Sie haben darüberhinaus auch häufig Angst vor Zurückerweisung. Vom schüchternen zum selbstbewussten Intro zu werden, das ist ein Weg, der nicht im Sprint zu bewältigen ist. Aber ist der erste Erfolg spürbar, gehst du unbeirrt weiter. Dein Leben wird dir immer mehr Lebensfreude bescheren und du wirst immer mehr zu dir selbst.

6.  Wir schreiben gerne

Wenn Extrovertierte gerne reden und sich gut artikulieren können, liegt die Stärke des Introvertierten im Zuhören, Schreiben, Malen und in anderen kreativen Tätigkeiten.

Ich bevorzuge es lieber einen Brief oder eine Email zu schreiben, als zu telefonieren oder ein face to face Gespräch zu führen. Gerade dann, wenn ich nicht genau weiss, was und wie ich das ausdrücken soll, was mir gerade auf dem Herzen und der Seele liegt. Oftmals führt es dann zu Missverständnissen, obwohl es gar nicht meine Absicht war. Beim Schreiben eines persönlichen Briefes gelingt es mir besser, meine Gedanken zu sammeln und meine Gefühle auszudrücken. Es ist für mich viel angenehmer und leichter.

Auch das Internet ist für uns Intro`s in vielerlei Hinsicht ein Geschenk und lässt uns viele Freiräume. Wir müssen nicht versuchen, uns in Unterhaltungen zu zwängen, können uns einfach jederzeit einloggen und uns so viel Zeit nehmen wie wir brauchen, um zu sagen, was wir zu sagen haben. Denn auch wenn wir leise sind, haben wir nicht weniger zu sagen.

Introvertiert + Extrovertiert = Gleichwertig!

In unserer Gesellschaft gilt Extroversion als erstrebenswert und Introversion kann oft sogar zum Problem werden. Dies ist jedoch nur eine langgeübte Gewohnheit – und jeder Intro kann aktiv mithelfen, sie zu verändern.

Wenn das Ying und Yang von Introversion und Extroversion in Harmonie sind, sorgen wir für Ausgewogenheit in der Welt.

Je mehr Menschen sich selbstbewusst zu ihren leisen Persönlichkeitsmerkmalen wie Sensibilität, Gründlichkeit, Beständigkeit und kluge Bescheidenheit bekennen und nicht länger versuchen, anders zu sein, umso mehr Menschen werden sich offen in diese Richtung entwickeln. Das wünsche ich mir und freue mich wenn du diesen Artikel mit anderen „potenziellen“ Introvertierten teilst. (nur wenn er dir gefallen hat natürlich)

Ich habe nun auch eine Facebook Gruppe eröffnet für alle Introvertierten und auch schüchternen Menschen. Wir sind nicht allein und gemeinsam können wir viel mehr bewegen und bewirken. Hier geht es zur Gruppe!

Leise erfolgreich leben

Nadine

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6 Antworten

  1. Nathalie sagt:

    Wooow sehr schön und sehr treffend be-/geschrieben
    🙂
    Danke!

  2. Jörg sagt:

    Ja, sehr gut das Thema getroffen und beschrieben. Finde mich sehr, sehr oft wieder

  3. Eva (FB: Ana Elf) sagt:

    Liebe Nadine,

    ganz HERZlichen Dank für deine Offenheit und diese ermutigende, prägnante, sehr verständliche und klare Beschreibung von Introvertiertheit!
    Ich habe mich darin so komplett wiedererkannt!
    Und du hast so eine wunderbare, angenehme Art und Stimme ❤
    Liebste Grüße
    Eva

    • nadine sagt:

      Tausend Dank liebe Eva für deinen schönen und herzerwärmenden Kommentar. Es erfüllt mich zutiefst wenn ich Menschen berühren und inspirieren darf. Alles Liebe für dich
      Nadine

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